Dienstag, 3. März 2015

Die Redensart (Text: Kurt Tucholsky, 1930) - Christoph Holzhöfer

Die Redensart

Als Friedrich, August von Sachsen,
noch saß auf seinem Thron,
da tät die Empörung wachsen –
horch, horch – die Revolution!
Im Schloß erschrak man nicht wenig,
der Kammerherr wurde ganz blaß.
Da sagte der gute Geenij:
»Ja, dürfen die denn das –?«

Der Satz hat sich eingefressen.
Ich sag ihn bei Tag und bei Nacht.
Ich sag ihn bei Jungdo-Adressen,
ich sag ihn, wenn Hitler was macht.
Ich sag ihn, wenn Mädchen sich lieben,
und wenn einer reizt mit dem As,
und wenn sie um Schleichern was schieben:
»Ja, dürfen die denn das –?«

Wie die Deutschen so tiefsinnig schürfen!
Jeder Mann ein Berufungsgericht.
Nur wer darf, der darf bei uns dürfen –
die andern dürfen nicht.
Und sitzt in der peinlichsten Lage
der Deutsche, geduckt und klein –:
dann stellt er die deutscheste
Frage und schläft beruhigt ein.

Theobald Tiger
Die Weltbühne, 07.10.1930, Nr. 41, S. 548.

Fahrgäste (Text: Kurt Tucholsky, 1930) - Christoph Holzhöfer

Fahrgäste

Frühmorgens, wenn das graue Licht
durch Jalousien sickert;
wenn jäh dein Schlaf in Krümel bricht,
der Wecker tickt und tickert:
dann fahren und stuckern und fahren sie so
in die Federnfabrik und ins Auskunftsbüro ...
Die Leute von der Spree,
die stürzen ins Gefecht sich
mit der F – mit der I – mit der W –
mit der Q – mit der 69.

Sie sitzen wie die Vögel da
auf einer langen Stange.
Sie sind sich alle gar so nah
im Kampf, im Druck, im Zwange.
Doch jeder lebt auf dem eigenen Stern;
sie sehn sich nicht an und sie haben sich nicht gern ...
Der liebt die Rotarmee,
der orientiert nach rechts sich –
mit der F – mit der I – mit der W –
mit der Q – mit der 69.

Die Scheiben klirrn. Der Mittag naht.
Die hunderttausend Leute,
sie fahren dienstlich und privat,
die Kerls und ihre Bräute ...
Nur manchmal blitzt auf in dem laufenden Band
ein Gedanke an Sonntag und Havelstrand ...
Ein Blick ... Ein stummes: He!
Dann meldet das Geschlecht sich
mit der F – mit der I – mit der W –
mit der Q – mit der 69.

Und abends, staubig im Gesicht,
so fahren sie heim und schwanken.
Wer Arbeit hat, der jammere nicht,
er darf dem Herrgott danken.
Ja, denkt denn da keiner – wies schade ist! –
dass Arbeit doch keine Gnade ist?
Arbeitende Armee!
Wann nimmt sie wohl ihr Recht sich ...
Mit der F – mit der I – mit der W –
mit der Q – mit der 69!

Theobald Tiger
Die Weltbühne, 19.08.1930, Nr. 34, S. 278.

http://youtu.be/HS47CALKK8Q

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