Die Redensart (Text: Kurt Tucholsky, 1930) - Christoph Holzhöfer
Die Redensart
Als Friedrich, August von Sachsen,
noch saß auf seinem Thron,
da tät die Empörung wachsen –
horch, horch – die Revolution!
Im Schloß erschrak man nicht wenig,
der Kammerherr wurde ganz blaß.
Da sagte der gute Geenij:
»Ja, dürfen die denn das –?«
Der Satz hat sich eingefressen.
Ich sag ihn bei Tag und bei Nacht.
Ich sag ihn bei Jungdo-Adressen,
ich sag ihn, wenn Hitler was macht.
Ich sag ihn, wenn Mädchen sich lieben,
und wenn einer reizt mit dem As,
und wenn sie um Schleichern was schieben:
»Ja, dürfen die denn das –?«
Wie die Deutschen so tiefsinnig schürfen!
Jeder Mann ein Berufungsgericht.
Nur wer darf, der darf bei uns dürfen –
die andern dürfen nicht.
Und sitzt in der peinlichsten Lage
der Deutsche, geduckt und klein –:
dann stellt er die deutscheste
Frage und schläft beruhigt ein.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 07.10.1930, Nr. 41, S. 548.
Als Friedrich, August von Sachsen,
noch saß auf seinem Thron,
da tät die Empörung wachsen –
horch, horch – die Revolution!
Im Schloß erschrak man nicht wenig,
der Kammerherr wurde ganz blaß.
Da sagte der gute Geenij:
»Ja, dürfen die denn das –?«
Der Satz hat sich eingefressen.
Ich sag ihn bei Tag und bei Nacht.
Ich sag ihn bei Jungdo-Adressen,
ich sag ihn, wenn Hitler was macht.
Ich sag ihn, wenn Mädchen sich lieben,
und wenn einer reizt mit dem As,
und wenn sie um Schleichern was schieben:
»Ja, dürfen die denn das –?«
Wie die Deutschen so tiefsinnig schürfen!
Jeder Mann ein Berufungsgericht.
Nur wer darf, der darf bei uns dürfen –
die andern dürfen nicht.
Und sitzt in der peinlichsten Lage
der Deutsche, geduckt und klein –:
dann stellt er die deutscheste
Frage und schläft beruhigt ein.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 07.10.1930, Nr. 41, S. 548.
chrdylan - 3. Mär, 19:19