Bürgerliches Zeitalter (Text: Kurt Tucholsky, 1922) - Christoph Holzhöfer
Bürgerliches Zeitalter
Ach, Muse, pack die rote Fahne ein!
Und roll sie säuberlich zusammen.
Die alten Ideale tu darein –
die können keinen mehr entflammen.
Die Barrikade und der Aufruhrschrei:
das ist vorbei.
Die Internationalen prügeln sich.
Ums Marx-Bild flicht die Immortellen.
Revolutionen werden bürgerlich,
der Geist fuhr in die Lohntabellen.
Es kloppen viele fürs Proletariat
den Danton-Skat.
Und während mild sich kabbeln die Partein
und Weltreformer teutsch und indisch quarren:
schluckt ein Kartell den ganzen Laden ein
und lächelt über hunderttausend Narren.
Dem Staate bleibt ein Pleitemonopol
und das Symbol.
Pust, großer Heros, deine Fackel aus!
Die Zeit braucht keine Helden – nur Beamte.
Verkriech dich in dein Mietskasernenhaus,
zu dem dich Gott (und ein Konzern) verdammte.
In Überlebensgröße schreiten
hoch über uns die Mittelmäßigkeiten . . .
Chronos, zurück! Mit deinen Horenschwestern!
Der Stil von morgen ist der Stil von gestern.
Adieu, adieu – Geist, Weimar und Idol!
Lebt wohl! Lebt wohl.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 30.03.1922, Nr. 13, S. 332.
http://youtu.be/0doR_HnSm00
Ach, Muse, pack die rote Fahne ein!
Und roll sie säuberlich zusammen.
Die alten Ideale tu darein –
die können keinen mehr entflammen.
Die Barrikade und der Aufruhrschrei:
das ist vorbei.
Die Internationalen prügeln sich.
Ums Marx-Bild flicht die Immortellen.
Revolutionen werden bürgerlich,
der Geist fuhr in die Lohntabellen.
Es kloppen viele fürs Proletariat
den Danton-Skat.
Und während mild sich kabbeln die Partein
und Weltreformer teutsch und indisch quarren:
schluckt ein Kartell den ganzen Laden ein
und lächelt über hunderttausend Narren.
Dem Staate bleibt ein Pleitemonopol
und das Symbol.
Pust, großer Heros, deine Fackel aus!
Die Zeit braucht keine Helden – nur Beamte.
Verkriech dich in dein Mietskasernenhaus,
zu dem dich Gott (und ein Konzern) verdammte.
In Überlebensgröße schreiten
hoch über uns die Mittelmäßigkeiten . . .
Chronos, zurück! Mit deinen Horenschwestern!
Der Stil von morgen ist der Stil von gestern.
Adieu, adieu – Geist, Weimar und Idol!
Lebt wohl! Lebt wohl.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 30.03.1922, Nr. 13, S. 332.
http://youtu.be/0doR_HnSm00
chrdylan - 19. Nov, 15:35