Freitag, 23. November 2012

ballade von treschen wegener

ballade von threschen wegener

threschen wegener, jahrgang 1932
der vater war kaufmännischer kalfaktor
die mutter nähte für die leute im dorf
kam mit einem verkürzten bein
es war das linke, im mai auf die welt
im elterlichen schlafzimmer
unter'm kreuz über'm bett
& der jesus christus schaute zu

zwei brüder von threschen die waren schon da
der hans, der war sechs & der karl, der war zwei
& ein schwesterchen, die marie
war vor vier jahren, kurz nach der geburt, gestorben
& die zeiten waren hart & die eltern katholisch
& als das threschen getauft wurde, da schrie es
in ihrem schönen weißen taufkleidchen, so laut
dass die heiligen an den wänden & der jesus an seinem kreuz wackelten

etwas später war hitler's braune bande an der macht
& fast alle im dorf waren plötzlich stramme nazis
aber die eltern nicht, die blieben menschen
da gab es kein hitler-bild im haus
da las man die bibel & nicht mein kampf
vor jeder mahlzeit da wurde gebetet
& dem gütigen herrgott für's essen gedankt
& jeder gast war willkommen

& das threschen wuchs heran
lernte laufen & mit ihrem verkürzten bein
watschelte sie, wie die enten unten am dorfteich
la-la-laend durch die küche & die wohnstube
ein kleiner sonnenschein in braunen zeiten
mit kupferroten locken
(die kamen wohl von der großmutter väterlicherseits her)
& die hungrige bestie krieg wartete schon

als die kinder im dorfe begannen, das threschen
zu ärgern, zu hänseln & ente zu rufen
& hinkebein & hexe, wegen ihrer roten haare
da wusste das threschen sich wohl zu wehren
ging los auf die kinder, mit lautem geschrei
& riss sie in den haaren & schlug mit ihren kleinen händen
denn angst hatte das kleine threschen nicht
nur zuhause hat sie sich dann ausgeweint

threschen ging in die schule & der krieg begann
deutsche soldaten marschierten in stiefeln
& das threschen trug an ihrem linken fuß
einen klobigen schuh mit erhöhter sohle
& die waffen die schrien & die toten schwiegen still
zuhause wurde noch mehr gebetet
auf dass gott die menschen vom krieg erlöse
& der vater nicht ins feld ziehen muss

deutschland feierte siege & seinen führer
hakenkreuzfahnen wehten im wind
& das threschen war acht & es war frühsommer
als der irre hitler durch paris marschierte
an den stammtischen sangen sie besoffen
deutschland, deutschland über alles ...
& das threschen watschelte durch wiesen voller klatschmohn
& fing eidechsen & blindschleichen

im jahr darauf musste der vater gen osten marschieren
fünf männer aus dem dorf die waren schon gefallen
in der kirche betete der pfarrer für den sieg
für führer, volk & vaterland
& das threschen betete, dass der krieg doch aufhören solle
& der vater gesund nach hause käme
& die mutter sang

maikäfer flieg!
der vater ist im krieg
die mutter ist in pommerland
und pommerland ist abgebrannt
maikäfer flieg!

& das threschen sang mit

& wenn der vater auf fronturlaub kam
schenkte er dem threschen einen groschen
& er nahm sie auf den schoß & er sah so anders aus
das was er gesehen hatte, sah man ihm an
& die mutter die lachte endlich mal wieder
& die brüder freuten sich so sehr
& wenn er dann wieder fahren musste
weinte sich das threschen in den schlaf

1944 kam der vater mit nur noch einem bein zurück
das andere hatte er in minsk gelassen
aber er lebte & der krieg war für ihn endlich vorbei
doch für den hans da fing er erst an
& die mutter die schrie & weinte, als der hans marschieren musste
& verfluchte den hitler, das schwein
der so viele söhne in den schrecklichen krieg schickte
& viel zu viele die waren doch schon tot

als der ami da war & der krieg war vorbei
im dorf waren plötzlich alle demokraten
die hatten ihre hakenkreuzfahnen verbrannt
& ganz schnell das hemd gewechselt
da schenkte der neger jim aus tennessee
dem threschen kaugummi & schokolade
& zeigte beim lachen seine weißen zähne
& im juni rauchte threschen ihre erste lucky

der ami ging wieder & kein hans kam zurück
der war in gefangenschaft, in boksitogorsk
& der vater ein krüppel & die mutter die nähte
manchmal ganze nächte hindurch
& als das threschen mit der schule fertig war
da fing sie eine lehre als näherin an
bei hensel & co, zwei orte weiter
& der karl war im letzten lehrjahr als maurer

der hans kam zurück & er sah aus wie 60
& war dünn wie ein besenstiel
& die eltern die weinten & lachten vor freude
& das threschen & der karl auch
dann bekam jeder erwachsene 40 d-mark
die reichen von gestern, waren immer noch reich
die familie war arm & sie waren gute menschen
& im garten blühten die ersten ringelblumen

die jahre kamen & gingen & das threschen ging
mit ihrem klobigen schuh durch ihre kleine welt
& der vater ging wegen 'ner hirnhautentzündung in' himmel
& die mutter sagte, da ist sein bein wieder dran
im garten blühten wieder die ringelblumen
als das land seine weltmeister feierte
da trug das threschen unter dem herzen ein kind
wer der vater war, das hat sie keinem gesagt

ihr kind war ein junge & den nannte sie karl
& rief ihn immer karlchen
& ein uneheliches kind, ohne vater, in jenen zeiten
da haben die leute ganz mächtig getratscht
aber ihr war egal, was die leute sagten
das threschen machte ihr ding
der hans war verheiratet & nach essen gezogen
& der karl hatte sich mit der vera verlobt

als der karl mit der vera zusammenzog, in neheim
& im elternhaus da wurd's immer leerer
da lebten die mutter, das threschen & karlchen
& der hatte auch rote locken
& die mutter die nähte & das threschen nähte auch
karlchen lief singend durch die wohnstube
ein kleiner sonnenschein in muffigen zeiten
& in der bundeswehr dienten die alten wehrmachtsoffiziere

der himmel war so blau & der klatschmohn so rot
im sommer 1960
da starb die mutter mit 56 an leberkrebs
& wurde neben dem vater beerdigt
karlchen ging in den kindergarten, das threschen nähte
& trug morgens die zeitungen aus
um viertel nach vier , bei wind & bei wetter
ging sie mit ihrem verkürzten bein & dem klobigen schuh

das threschen hatte nicht viel, aber ein ganz großes herz
& für karlchen für den tat sie alles
& jeden tag besuchte sie die gräber der eltern
immer waren bunte blumen darauf
& kamen die brüder mit ihren familien zu besuch
dann gab's immer sauerbraten
der war so, wie ihn die mutter gemacht hatte
& zum nachtisch gab's fürst-pückler-eis mit sahne

& wenn die brüder wieder weg waren & das threschen alleine
mit karlchen im alten elternhaus
dann wünschte sie sich manchmal, einen mann an ihrer seite
& für den karlchen als vater auch
& als der heinz borowski den vogel abschoss
& das threschen fragte, bist du meine königin
da hat sie nicht lange überlegt & die blaskapelle spielte schützenliesel
da tanzte sie mit dem heinz auf dem königstisch

der heinz war ein einfacher lieber mann
der trank recht gern, doch das taten ja alle
der holte im bergwerk die erze aus der erde
& der konnte tanzen & war ein kavalier & brachte sie zum lachen
& sie schmierte ihm stullen & kochte ihm kaffee
wenn er ganz früh zur arbeit ging
denn seit ende august schlief der heinz in ihrem bett
& danach trug sie die zeitungen aus

dann weckte sie karlchen, der musste zur schule
die war damals noch im dorf
sie machte ihm frühstück, schmierte stullen für die schule
mit ganz dick wurst darauf
einen apfel, vom baum, den der vater gepflanzt hat'
den gab sie dem karlchen noch mit
einen kuss auf den mund & ganz viel mutterliebe
bevor der kleine karlchen mit seinem großen schulranzen ging

den karlchen liebte sie über alles & den heinz mochte sie sehr
& karlchen der mochte den heinz auch
& der heinz mochte 's threschen & den karlchen
& sie waren eine richtige familie
der pfarrer besuchte sie, weil sie doch nicht verheiratet waren
sagte, gott sieht so was gar nicht gern
doch 's threschen schüttelte nur ihre kupferroten locken
& sagte, wir! wir sind mann & frau

der pfarrer ging wieder & die jahre gingen auch
& karlchen ging dann in die lehre
lernte maurer, wie sein onkel karl
& war ein kräftiger junge geworden
die zeiten waren hart, doch das threschen nahm 's leicht
hatte immer ein lied auf den lippen
& sie dankte dem herrn für ihr kleines glück
& legte immer eine mark in den kollektenkorb

im jahr darauf, es war 1970
kaufte der heinz einen vw 1200 sparkäfer mit 34 ps
der war drei jahre alt & grau & kostete 1800 dm
& machte 116 km/h spitze
der heinz hatte dafür lange gespart
& nun konnte die kleine familie
am wochenende über die dörfer fahren
& irgendwann wollten sie mal nach italien

statt nach italien, fuhr der heinz in den himmel
unter tage, da gab's 'ne explosion
drei männer waren tot & der heinz war darunter
& es war sommer, da stirbt man doch nicht
& das threschen das weinte & karlchen weinte auch
bei der beerdigung da goss es in strömen
& der pfarrer, das schwein, sagte tatsächlich zu threschen
das ist, weil ihr nicht verheiratet ward

das threschen das biss sich vor wut auf die lippen
& dann spuckte sie dem pfarrer ins gesicht
das einer so was böses sagt, wenn man doch trauert
weil so ein lieber mensch gegangen ist
& karlchen stand daneben, die fäuste geballt
bereit, dem scheinheiligen ins gesicht zu schlagen
der seine liebe mutter beleidigt & ihr weh getan hatte
denn das darf doch auch so einer nicht

nun lebten wieder nur noch die beiden
im alten elternhaus
in regalen standen die einweckgläser
& in der wohnstube hingen bilder der eltern & vom heinz
drei gräber waren nun da, die sie besuchte
das machte sie jeden tag
& im garten da pflückte sie weiter bunte blumen
die toten sollten es doch auch schön haben

kein jammern, kein klagen, die ärmel hochgekrempelt
das leben das muss doch weiter gehen
ja so war das threschen & sie glaubte ganz fest
dass sich alle im himmel wiedersehen
& jeden morgen trug sie weiter die zeitungen aus
karlchen war maurergeselle geworden
& machte nebenbei noch viel schwarz
& fuhr den käfer von heinz

& dann sollte karlchen zur bundeswehr
& das threschen sagte, meinen sohn den kriegt ihr nicht
der soll nicht lernen wie man menschen tötet
& mördern gehorchen müssen
die feinen herren die zetteln die kriege an
& leben wie die maden im speck
& der kleine mann soll für die da oben krepieren
das hat der liebe gott doch nicht so gewollt

& als die leute mal wieder die fußballweltmeister feierten
& sich besoffenen in den armen lagen
da bereitete sich karlchen mit dem guten neuen pfarrer
auf die gewissensprüfung vor
& am nächsten morgen beantwortete er die blöden fragen
die ihm drei ältere böse männer stellten
die ihn provozierten & beleidigten
aber er blieb ruhig & der neue pfarrer war ein guter beistand

& als karlchen dann in einem heim für schwerstbehinderte
windeln wechselte & die armen menschen badete & wusch
& kotze & scheiße aufwischte
& ihn dort alle mochten, weil er immer gut & lieb war
& seine arbeit so gern & toll machte
da schimpften ihn viele leute im dorf drückeberger & vaterlandsverräter
aber er lächelte nur
& das treschen war so stolz auf ihn

die zeit die vergeht, mal langsam, mal schnell
karlchen arbeitete wieder als maurer
& die politiker & bonzen hatten angst vor der raf
& das threschen sagte, geschieht ihnen doch recht
& karlchen der hatte sich verlobt
mit der erika müller, eine ganz liebe hübsche
die beiden waren schon recht lange zusammen
& erika zog dann auch zu karlchen & treschen ins alte haus

im deutschen herbst da wurde geheiratet
erika wurde schwanger & karlchen baute noch an
nach feierabend & am wochenende da schaffte er
& was er schaffte, dass schaffte er gut
& als die erika dann eine tochter zur welt brachte
die sie nach der oma treschen nannten
da war der anbau schon lange fertig
& im garten da blühte der apfelbaum

der sommer ging, der herbst ging auch
weihnachten, da war es noch mild
doch dann schlug der winter so richtig zu
& der schnee lag bald meterhoch
& plötzlich, da starb treschens bruder karl
den armen traf der schlag auf maloche
da weinte das treschen, ach karlchen, ach karl
viel zu früh bist du von uns gegangen

der schnee der lag noch immer so hoch
als sie karl zu grabe trugen
mit dem zug waren sie nach neheim gefahren
nach der beerdigung gab's kaffee & kuchen
karls witwe vera hatte ganz verquollene augen
weinte immerzu, der pfarrer trank schnäppschen
&'s treschen dachte, nur gut, dass sie keine kinder haben
so müssen die nicht um ihren toten papa weinen

& die jahre die zogen ins land
karlchen war polier geworden
treschen trug immer noch zeitungen aus
die kleine enkelin kam schon in die schule
mit roten locken, ein lied auf den kleinen lippen
so ging sie an treschens hand
ein kleiner sonnenschein mit großen staunenden augen
& das treschen erzählte ihr märchen

im märchen gibt's meistens ein happy end
doch das leben schreibt andere geschichten
da kommt's nicht immer so, wie man es sich wünscht
wunschkonzerte, die gibt's nur im fernsehen
& als das treschen sich mal ganz elend fühlte
sie, die doch nie krank war & immer robust (& es wurd' nicht besser, nein, immer schlimmer)
da fuhr karlchen sie zum doktor zwei dörfer weiter
der machte ein ernstes gesicht & überwies sie an einen arzt für innere

das treschen hatte krebs, da war nichts mehr zu machen
& sie sagte, wenn gott es so will
dann werd' ich mich wohl seinem willen beugen
& da war kein jammern & kein klagen
& als das alte jahrzehnt zu ende ging
ein neues wartete schon
da feierte sie glücklich weihnachten mit ihren lieben
& sagte, die geschenke nehm' ich mit in den himmel

drei tage später lag sie sehr schwach & sehr müde
im bett & ihre lieben davor
sagte jedem auf wiedersehen & dass sie ihn liebe
schloss die augen & schlief lächelnd ein
57 jahre sind gerad' nicht viel
aber immer die ärmel hoch & immer geschafft
immer ein lächeln & immer ein ganz großes herz
& kupferrote locken & ein verkürztes bein

nun ruhst du liebes treschen seit 23 jahren
wo auch die eltern & der heinz schon lange ruhen
die sonne scheint auf dein schönes grab
deine lieben kommen dich ganz oft besuchen
deine enkelin lebt mit 'nen guten mann zusammen
sie haben eine tochter & 'nen sohn
der sohn heißt karl, die tochter treschen
ein kleiner sonnenschein mit kupferroten haaren

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